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Wie man lernt, das eigene Potenzial auszuschöpfen


Bild: Zacharie Scheurer/dpa-tmn

Wenn eine Fußballmannschaft verloren hat, heißt es oft als Erklärung für den Misserfolg: «Wir konnten unsere Leistung nicht abrufen!» Das bedeutet: Die Fußballer haben ihre Ressourcen, ihr Können und ihre Kapazitäten, nicht genutzt. Nicht nur Sportlern geht es so. Auch im Berufs- und im Privatleben kommt es darauf an, sein Potenzial auszuschöpfen, meinen Experten. Wie geht das? Und wie weiß man, was man kann? 

Die Hamburger Karriereberaterin Ragnhild Struss versteht unter Potenzial «individuelle Talente und Fähigkeiten, sich selbst beruflich Ausdruck zu verleihen und persönlich zu wachsen». Oder auch die Möglichkeiten, die in einer Person schlummern, um ihre Ziele und Träume zu erreichen. Und das geht weit über den Job hinaus.

Potenzial hat viele Facetten

Der Wirtschaftspsychologe Florian Becker zählt ganz verschiedene Bereiche zum menschlichen Potenzial: Das können soziale Kontakte und geistige Fähigkeiten genauso sein wie Wohlstand und sozialer Status. Oder auch, wie man mit seinem eigenen Körper umgeht, wie gesund und beweglich man ist.

Wobei eines für den Autor («Positive Psychologie. Wege zu Erfolg, Resilienz und Glück») eine besondere Rolle spielt: «Es ist nicht in erster Linie ausschlaggebend, wie viel Potenzial Menschen theoretisch haben, sondern entscheidend ist, wie viel davon sie praktisch ausschöpfen!» Becker ist überzeugt, dass die allermeisten Menschen nur einen Bruchteil davon verwirklichen.

Warum aber ist das denn so wichtig? «Weil das Ausschöpfen des eigenen Potenzials entscheidend ist für die persönliche und berufliche Zufriedenheit», sagt Ragnhild Struss. «Ansonsten entsteht ein Gefühl der Unauthentizität, was innere Konflikte und Unwohlsein nach sich zieht.» Wer seine eigenen Ressourcen brachliegen lässt, bei dem setze irgendwann ein «stagnierendes Gefühl der Selbstverwirklichung» ein - und das wiederum kann langfristig negative Auswirkungen nicht nur auf die berufliche Leistung, sondern auch die psychische Gesundheit haben.

Raus aus der Komfortzone

Und darunter leidet nicht nur jede und jeder Einzelne, meint Florian Becker. «Mit dem, was in unserer Gesellschaft normal ist, können wir nicht zufrieden sein», betont er. Statt ihr Potenzial zu nutzen und sich weiterzuentwickeln, verbrächten Deutsche heute im Durchschnitt jeden Tag über fünf Stunden mit Fernsehen, Videostreaming und Computerspielen. Die Folge: Gesundheit und Bewegung bleiben auf der Strecke, die Menschen werden übergewichtig, krank und einsam.

«Meistens ist das kein Wissensdefizit, sondern ein Umsetzungsdefizit», so der Psychologie-Professor. Bei den Betroffenen mangle es an Selbstdisziplin und der Bereitschaft, «mal etwas Unangenehmes durchzuziehen». Anders formuliert: Sie sind nicht bereit, ihre Komfortzone zu verlassen und sich zu sagen: «Ich opfere jetzt etwas, damit es mir morgen besser geht.» Sie maximieren lieber das kurzfristige Wohlbefinden, statt jetzt etwas aufzugeben, um für die Zukunft mehr zu gewinnen.

Runter vom Sofa

Wie aber schafft man diesen U-Turn vom Sofa? «Dazu sollte man erst einmal eine eigene Vision von sich haben und sich ausmalen: Was für eine Art Mensch will ich sein - nicht in 30 oder 40 Jahren, sondern in fünf!», meint Becker. Gerne darf man da auch ein bisschen an einem Luftschloss bauen: Hauptsache, man hat überhaupt eine Idee und weiß, in welche Richtung man will.

Helfen könne außerdem, sich gleichzeitig ein abschreckendes Bild vorzustellen: Wo ende ich «schlimmstenfalls», wenn ich einfach so weitermache wie bisher. Wenn ich mich weiterhin ungesund ernähre, keinen Sport mache, nur vor dem Computer hänge, meine berufliche Bildung und soziale Kontakte vernachlässige. «Auch eine negative Vision kann uns stark antreiben», sagt der Experte.

Stark sein und auch mal Nein sagen

Wer diese beiden Aspekte verinnerlicht hat, braucht für den nächsten Schritt mentale Stärke: «Dann geht es um bestimmte Konsequenzen und um Selbstdisziplin», sagt Becker. Dazu gehört, Ablenkungen abzustellen und schlechte Gewohnheiten zu ändern. Wer Tagebuch schreibt und dokumentiert, was ihn abgelenkt hat, findet schnell die «Time-Bandits», also Zeiträuber. Oft hilft es, die Verursacher aus dem Blickfeld zu verbannen: Also einfach das Handy in die Schublade zu legen und das Bier in den Keller statt in den Kühlschrank zu stellen. Und dafür umgekehrt gute Gewohnheiten aufbauen: den Obstkorb auf den Schreibtisch stellen und die Tasche fürs Fitness-Studio schon mal an die Haustür.

Auch mal Nein zu sagen, ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg, seine eigenen Potenziale nutzen zu können, meint Becker: «Wenn du keine Grenzen ziehen kannst, werden dich andere einsetzen für ihre Ziele - und andere schreiben dann das Drehbuch für dein Leben.»

Sich selbst reflektieren, Feedback holen 

Wie aber werde ich selbst zum «Autor» meines Lebens, und woher weiß ich, was in mir steckt? «Regelmäßige Selbstreflexion» lautet da der Tipp von Ragnhild Struss - etwa in Form von Journaling, einer Art Tagebuch mit Blick nach innen. Sein eigenes Potenzial lässt sich zudem durch eine persönliche «SWOT»-Analyse (von Strengths, Stärken, Weaknesses, Schwächen, Opportunities, Chancen, Threats, Risiken) oder Persönlichkeitstests identifizieren. 

Zusätzlich kann ein strukturiertes Fremdbild durch Freunde oder ein professionelles Feedback zur eigenen Person im Job - etwa durch Arbeitszeugnisse und Leistungsbewertungen - helfen, um sowohl private als auch berufliche Talente und Neigungen sichtbar werden zu lassen. «Es erfordert sicher ein bisschen Mut, aber Freunde und Familie nach ihren Wahrnehmungen und Einschätzungen zu fragen, macht nicht nur Eigenschaften bewusster, sondern wirkt sich auch positiv auf das eigene Selbstwertgefühl aus», erklärt die Karriereberaterin.

Optimistisch bleiben

Nach einer ehrlichen Selbstreflexion sollte man sich selbst klare, erreichbare Ziele stecken, die als Leitfaden und Motivation dienen. «Ein detaillierter Aktionsplan hilft dann dabei, die gesetzten Ziele in konkrete Schritte zu übersetzen», so die Organisationspsychologin. 

Ganz wichtig ist es, meint Florian Becker, optimistisch zu bleiben und an sich selbst zu glauben. So wie die isländische Fußballmannschaft, die bei der EM 2016 über sich selbst hinauswuchs und im Achtelfinale sogar die Engländer aus dem Turnier warf. Also: Nicht sich selbst klein denken und sich keine eigenen inneren Grenzen setzen, sondern so viel seines Potenzials nutzen, wie möglich. 

Eines ist allerdings auch klar: «Du wirst nie 100 Prozent erreichen», sagt der Psychologe. «Aber es wäre schade, wenn du nur 10 ausschöpfst.»


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(24.12.2024)